Annette Reich, Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern

UND_news_from_now_here

Gabriele Basch Malerei auf Papierschnitt -
Gesa Lange Zeichnung auf Leinwand   

Die Wahrnehmung und eingehende Betrachtung der Werke von Gabriele Basch und Gesa Lange lässt einem das Beständige und das Flüchtige zugleich gewahr werden. Sein und Nichtsein, Anwesenheit und Abwesenheit, Entstehung und Zerfall, Erscheinen und Verschwinden, spielen als zeitliche Komponenten im Schaffen beider Protagonistinnen eine ebenso wichtige Rolle wie die Auseinandersetzung mit dem »Raum«. Nicht die Zeitabfolge, sondern der Augenblick, die unmittelbare Gegenwart als zeitlose Dauer, wird erfahrbar.

UND_news_from_now_here heißt deshalb auch die aktuelle Ausstellung. Neuigkeiten aus dem Hier und Jetzt von zwei Künstlerinnen, die, jede für sich, eine überzeugende gegenstandsfreie Bildsprache entwickelt haben, und die eigenständige, konsequent verfolgte Wege vor Augen führen. Ein souveräner Umgang mit Erprobtem und eine Offenheit für Experimentelles kennzeichnen ihre Arbeitsweisen. Wäre da noch das »UND«. Diese wohl am häufigsten verwendete Konjunktion hat eine verbindende Funktion. Sie verweist auf die Gleichzeitigkeit von Gegensätzen, sie summiert mit dem Ergebnis einer Steigerung, sie kann Intensität ausdrücken und eine Reihung in Gang setzen. Nicht zuletzt betont UND das Miteinander, das Zusammenspiel.

Gabriele Basch und Gesa Lange stellen Werke vor, die ausdrucksstark miteinander in einen lebendigen Dialog treten. In der Zusammenschau ihrer variantenreichen Arbeiten eröffnen sich überaus interessante Bezüge, die Verbindendes aufzeigen und zugleich die individuelle Handschrift der beiden zeitgenössischen Positionen betonen. Formate und Techniken variieren; Malerei und Zeichnung präsentieren sich einerseits als zweidimensionale Medien, andererseits öffnen und erweitern sie sich in den Raum hinein beziehungsweise sind integrative Bausteine installativer Raumkonzepte.

Gabriele Basch arbeitet unter anderem in Acryl und Lack auf Papier- und Folienschnitt, Gesa Lange in Bleistift und Grafit respektive Garn auf Leinwand. Eine stete Auseinandersetzung mit dem Raumbegriff ist ihnen dabei eigen. Was ist »Raum«? Wie lässt sich »Raum« definieren? Auf welche Art und Weise entsteht er neu, sei es real oder fiktiv? Die Künstlerinnen beschäftigen sich mit Bildräumen, mit Räumen, die von ihren Werken eingenommen werden sowie mit Räumen, in denen wir, die Betrachter*innen, uns bewegen. Und nicht zuletzt sprechen sie Gedanken- und Gefühlsräume an; ihre eigenen und die Ihrer Adressat*innen. Gabriele Basch und Gesa Lange machen so das Sehen und Spüren an sich zum Thema. Sie schaffen bewusst Irritationen, Uneindeutigkeiten, die Fragen aufwerfen und dadurch die Rezipient*innen und ihre sinnliche Wahrnehmung ins Zentrum rücken. Dieses perzeptive, sinnliche Wahrnehmen erschließt Fläche und Raum, Fülle und Leere, reale und imaginäre Phänomene. Und immer wieder verweisen die Werke der Künstlerinnen dabei auf den Raum »dahinter«. Oberflächen und Öffnungen gewähren einen Blick »hinein« oder »hindurch«, wobei eine geheimnisvolle Aura des Gesamten präsent bleibt.

Basch verfolgt ihren Weg, ausgehend von der zweidimensionalen Malerei, über dreidimensional wirkende Wandobjekte bis hin zu Rauminstallationen. Der Papierschnitt (Cut-out) hat in den letzten 20 Jahren nahezu einen Boom erfahren. Zahlreiche auch junge Künstler*innen haben das auf die Tradition des Scherenschnitts zurückgehende Medium für sich neu entdeckt und unterschiedliche Varianten in Thematik und Bearbeitung hervorgebracht. Gabriele Basch gehört, und das soll betont werden, zu den Pionier*innen. Bereits seit 1989 hat sie sich der Technik des Papierschneidens verschrieben und diese bis heute kontinuierlich weitergeführt und perfektioniert. Dabei stehen das Experimentieren mit Fläche und Raum sowie das Nebeneinander von Positiv- und Negativformen unter Einsatz oft kraftvoller, leuchtender Farben im Mittelpunkt ihres Interesses.

Ihre Arbeiten präsentieren sich energiegeladen in changierenden Farben und mit einem variantenreichen Formenvokabular. Die auf Papier aufgebrachten Blau-, Gelb-, Rosa-, Rot-, Orange- und Brauntöne sind in zahlreichen Schattierungen, mit breitem Pinsel gemalt, beziehungsweise getupft, gesprüht oder abgeklatscht. Entscheidend für die äußerst interessante plastische Wirkung sind einerseits die unterschiedlichen Helligkeitswerte der Farben bis hin zu Weiß und andererseits die mit dem Cuttermesser ausgeführten Cut-outs. Sie verändern und strukturieren die Farbflächen neu, dynamisieren und akzentuieren die Bildkomposition. Die bewusst gesetzten Ausschnitte ergeben feine und breite wellenförmig wirkende Linien, Netzstrukturen, Dreieckformen, Rauten, Raster, die mitunter an Gitter erinnern oder amorphe Formen. Dabei spielen nicht selten zufällige Formationen eine Rolle. Gleichwohl hat die Künstlerin durch rationale Überlegung und jahrelange Erfahrung das große Ganze immer im Blick.

Auch Gesa Lange arbeitet mit Raster- und Gitterstrukturen, Und sie erkundet auf differenzierte und unkonventionelle Art und Weise Raum. Konstruierte dreidimensionale Raumarbeiten finden sich ebenso in ihrem Schaffen wie das Medium des Künstlerbuches und die umfangreiche Werkgruppe der Zeichnungen auf Leinwand. Zunächst mag man bei dem Begriff Zeichnung an eine Ideenumsetzung auf Papier, etwa mit diversen Stiften oder Tusche und Feder ausgeführt, etwa in Form einer spontanen Skizze bis hin zu einer detailreich ausgearbeiteten Handzeichnung denken. Leinwand als Bildträger erscheint ungewöhnlich. Gesa Lange hat mit ihrer Wahl, Zeichnung und Leinwand zu kombinieren, eine für sie ideale Ausdrucksmöglichkeit ihrer Vorstellungen und Intentionen gefunden.

Mit einer breiten Palette an Schwarz- und Grautönen, Farben spielen in dieser Werkgruppe keine Rolle, lotet sie das Verhältnis von Materialität und Immaterialität aus. Die grundierte Leinwand wird in zahlreichen Schichten mit Graphit, einem weichen, grauen, metallglänzenden Mineral, und Bleistiftschraffuren bedeckt. Diese Schichten werden in einem transformatorischen Prozess weiterbearbeitet, indem sie teilweise, an unterschiedlichen Stellen, immer wieder abgetragen, neu aufgebaut und erneut entfernt werden. Raum verdichtet und öffnet sich. Es werden mannigfache Strukturen, Netze, Raster, Flächen, Linien sichtbar, die sich überlagern, an manchen Stellen verflüchtigen. Verwischte, nicht konturierte, unscharfe Partien wirken wie Schleier und stehen neben deutlich gesetzten Bleistiftstrichen. In geballten Formationen akzentuieren diese Raum oder sie grenzen Räume ab.

Durch die unterschiedliche Tonigkeit von tief Schwarz bis zu hellem Grau, mit unzähligen Nuancen, die dazwischen liegen, entsteht der Eindruck von einem Davor und einem Dahinter, ohne dass Vorder- und Hintergrund klar auszumachen sind. Wohl aber spürt man die dialogisierenden Gegensätze von An- und Abwesenheit, Erscheinen und Verschwinden in einer faszinierenden Gleichzeitigkeit. Lange gelingt es, dem ephemeren Aspekt, der eine Auseinandersetzung mit Zeit intendiert, in Verbindung mit der Raumfrage sowohl inhaltlich als auch formal einen sensiblen und zugleich kraftvollen Ausdruck zu verleihen.

Bei aller Offenheit, lassen Gesa Langes abstrakte Bildfindungen durchaus ambivalente Assoziationen zu. Wände, von denen der Putz abblättert, eine rissige Steinmauer, eine dicht bewachsene Blumenwiese, florale Muster oder textile Gewebe könnte man sich in Erinnerung rufen. Oder man spürt den nichtgreifbaren Kontrasten und Übergängen respektive Schnittstellen von (Ober-)flächen und (Tiefen-)räumen nach, um seinen eigenen Ort, das individuelle Sein zu definieren. Dabei sollte man im Blick haben, dass die All-over-Motive, ähnlich wie bei Gabriele Basch, stets wie Ausschnitte aus einem größeren Ganzen wirken.

Alle Werke von Gabriele Basch und Gesa Lange haben Titel. Basch verweist auf die für sie relevanten Themenbereiche wie zum Beispiel Architektur, Gesellschaft, Urbanität, Natur, Kultur etc., auf aktuelle gesellschaftspolitische Ereignisse oder Prozesse, die deutlich spürbar sind, die uns alle angehen und uns täglich mehr oder weniger umgeben. Lange führt uns in eine Mythologie von individueller Natur, die mehr im Abstrakten, Ungewissen verortet zu sein scheint. Erinnern und Vergessen sind Themen. Alle »Inhalte« bleiben in ihrer Umsetzung bewusst offen und uneindeutig. Gerade deshalb besitzen die eindrucksvollen Werke beider Künstlerinnen eine packende Aktualität von starker Wirkungskraft.

Die facettenreichen Werke von Gabriele Basch UND Gesa Lange üben in ihrer Unverwechselbarkeit eine regelrechte Sogwirkung auf den Betrachter aus, der man sich kaum entziehen kann. Sie eröffnen und verwandeln Räume, die zur Reflexion über Vorder- und Hintergründe, An- und Abwesenheit anregen. Nicht Hamlets Frage »Sein oder Nichtsein« steht hier zur Disposition, sondern vielmehr eine zeitgleiche Wahrnehmung von Sein UND Nichtsein. Es lohnt sich, auf Spurensuche zu gehen.

ENDE