Die Arbeit von Grit Reiss basiert auf der Beobachtung gesellschaftlicher Entwicklungen. Mit der Kamera untersucht sie, wie die Abbildung von Wirklichkeit unsere Wahrnehmung beeinflusst. Alltägliche Materialien werden Teil performativer Auseinandersetzungen, die sie mit ihrem Körper vor der Kamera inszeniert. Die Fotografien ergänzt sie durch digitale Zeichnungen, die die räumliche Wirkung einzelner Bildareale verfremdet. Auf der Bildfläche entstehen Fusionen von Körper, Material und inszeniertem Raum, die berühren, irritieren und eines zweiten Blicks bedürfen.

Die aktuelle Serie LOOKING FORWARD dreht sich um die virtuelle Handlungs- und Erlebniswelt einer digitalen Gesellschaft und zunehmende Isolation in der Realität. Mit dem Smartphone in
der Hand performt die Künstlerin emotionale Zustände auf einem sockelartigen Hocker. Auf diesem scheinen die einzelnen Figuren isoliert und unfähig, der häuslichen Kulisse zu entkommen.
Sie offenbaren Momente des Eintauchens in eine virtuelle Lebenswirklichkeit, die Teil menschlicher Gegenwart geworden ist, die kollektives Handeln und Empfindungen beeinflusst.

Die Köpfe der fotografischen Skulpturen stecken in trichterförmigen Halskrausen, die das Gesichtsfeld der Personen einschränken, sie zu einer grotesken Körperhaltung zwingen und den Betrachtenden eine Blickrichtung suggerieren. Es ist weder möglich, ein Individuum zu identifizieren noch einer Mimik Emotionen zu entnehmen, da der Blick auf das Gesicht durch einen schwarzen Kreis verwehrt bleibt. Stattdessen führt das imaginäre Loch über die Öffnung des Trichters in eine innere Welt des Wesens, die sich durch Gestik und Arrangement erahnen, jedoch nicht restlos entschlüsseln lasst. Betrachter*innen werden aufgefordert, die eigene Erfahrungswelt zu hinterfragen: Nimmt unser Gehirn trichterartig Datenmengen auf? Werden die Informationen mit Tunnelblick vom Bildschirm aufgesogen, ohne dass Körper und Seele die Kontrolle behalten? Sind wir gefangen in einer Abhängigkeit, die unser Innerstes von außen bestimmt? Braucht es für das Eintauchen in die virtuelle Realität einen Schutz wie diesen Trichter? Oder ist das schwarze Loch gar eine Zuflucht, ein temporäres selbstgewähltes Abkehren von einer Gesellschaft, die kopflos agiert?


raumansicht


Fotos Bildergalerie: W.Claus


Über Grit Reiss

lebt und arbeitet in Mainz
2017-18 Meisterschülerstudium bei Prof. Judith Samen, KH Mainz
2011-15 Studium Freie Kunst, Kunsthochschule Mainz
Verschiedene Lehrtätigkeiten im Bereich Kunst und Sport,
u.a. als Referentin für Haltungs- und Bewegungsförderung in RLP, Hessen und Baden-Württemberg
1993-99 Lehramtsstudium Kunst und Sport, Freiburg i.Br.

Ausstellungen (Auswahl)
2020
Deltabeben, Kunstverein Mannheim, kuratierte GA
Luminale Frankfurt/M. – online, kuratierte GA
2019
aufgeSCHLOSSEN, Schloss Untergröningen,
Kunstverein KISS, kuratierte GA
Flüchtige Behausungen, Kunstverein Köln-Frechen, Ausstellung mit Prof. Rainer Schade
Art Space Gallery, Bremerhaven, kuratierte GA
24. KARLSRUHER KÜNSTLERMESSE, kuratierte GA
2018
International Avantgarde Festival, Makarska, Kroatien, kuratierte GA
shifted, Kulturschmiede Nieder-Olm, Einzelausstellung
Festival der Künste Worms-Westhofen, Einzelausstellung in evangelischer Kirche
2017
leerelos, Kunstverein Mainz, Ausstellung mit DGM und Bence
GIENNALE 2017, Gießen, Teilnahme mit Einzelausstellung in Raumstation 3539

 

Ankäufe in öffentlichem Besitz
Städtische Galerie Karlsruhe: 2 Arbeiten

 

 

Weitere Infos unter: https://gritreiss.com/